Extraaurale Wirkungen
Eine kurzfristige Wirkung ist eine primäre Wirkung (z.B. Aufwachreaktion) während oder kurz nach einem Störgeräusch. Häufig werden aber langfristige Wirkungen (z.B. chronische Erkrankungen) durch oft wiederholte primäre Reaktionen vermittelt.
Kommunikation
Die Sprachverständlichkeit hängt unter anderem vom Pegel und vom Frequenzspektrum der Störgeräusche ab. Darüber hinaus wird die Kommunikation aber auch beispielsweise stark durch die Halligkeit des Raumes und durch die Sprachkompetenz des Hörers beeinflusst. Zum Einen wird die Störung der Kommunikation durch Lärm von den Betroffenen als belästigend und ärgerlich empfunden (Kloepfer, 2006)[1].
Zum Anderen sind auch langfristigere negative Wirkungen der Kommunikationsstörung durch Lärm nachgewiesen. So wurde beispielsweise im ersten publizierten Teil der NORAH-Studie (Klatte, Bergström, Spilski, Mayerl, & Meis, 2014)[2] ein signifikanter, kausaler Effekt von Fluglärm auf die Lesefähigkeit von Zweitklässlern nachgewiesen und quantifiziert.
Aufwachreaktionen
In Diskussionen über Lärmwirkungen fallen immer wieder Sätze wie
„Menschen werden nicht vom Lärmpegel gestört, sondern von den einzelnen Lärmereignissen“.
In der neueren Forschungsliteratur wird häufig die Vermutung geäußert, dass sich der standardmäßig verwendete äquivalente Dauerschallpegel LAeq nicht zur Beurteilung der nächtlichen Lärmbelastung durch Schienen-, Flug- oder schwachen Straßenverkehr eignet. Diese Lärmarten sind charakterisiert durch abgegrenzte Lärmereignisse, d. h. kurzzeitige Lärmspitzen, zwischen denen relative Ruhe herrscht. Je lauter und je häufiger solche einzelnen Einzelereignisse sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass Menschen davon gestört werden. In einer Reihe von Studien wurde versucht, Wirkungsaussagen für den Nachtzeitraum quantitativ zu bestimmen. Dies gelang mit den Maximalpegeln besser als mit dem äquivalenten Dauerschallpegel.
Häufig wird mit der Arbeitshypothese gearbeitet, dass der Schaden (Belästigung, Verminderung der Erholungswirkung des Schlafes, Begünstigung chronischer Krankheiten), der Menschen durch nächtlichen Lärm zugefügt wird, durch zusätzliche, lärminduzierte Aufwachreaktionen vermittelt wird. Auch wenn ein Mensch von einem tieferem Schlafstadium in ein flacheres Schlafstadium befördert wird, wird diese Reaktion, die vom Schläfer nicht bewusst wahrgenommen wird, als Aufwachreaktion gewertet.
Bereits ohne Lärm finden derartige Aufwachreaktionen spontan statt, und zwar bei normalen, erwachsenen Menschen im Schnitt etwa 25 Mal pro Nacht. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass sich die spontanen Aufwachreaktionen physiologisch deutlich von den induzierten unterscheiden und schädlicher sind (Basner, Isermann, & Samel, 2005[3]; Müller, 2010[4]).
In den Studien wird die Aufwachreaktion als Funktion unter anderem des Maximalpegels eines Lärmereignisses am Ohr des Schläfers ermittelt. Die Menschen schliefen in den Studien zuhause und waren dort den normalen Umgebungsgeräuschen ausgesetzt.
Eine Studie beschäftigte sich mit realem Fluglärm in der Umgebung des Flughafens Köln-Bonn (Basner, Isermann, & Samel, 2005[3]). Darin wurde beispielsweise für ein Fluglärmereignis mit einem Maximalpegel von LAS,max = 40 dB(A) am Ohr des Schläfers eine lärminduzierte Aufwachwahrscheinlichkeit von über 1% ermittelt. Bei gekipptem Fenster entspräche das einem vergleichsweise leisem Fluglärmereignis mit LAS,max ≈ 55 dB(A) außen. Diese Lautstärke entspricht in etwa einer normalen Unterhaltung.
Insgesamt wurden in der gesamten Studie Aufwachreaktionen durch leise Fluglärmereignisse (LAS,max = 34,5… 40,5 dB(A) am Ohr des Schläfers) fast genauso häufig ermittelt, wie durch alle lauteren Fluglärmereignisse (LAS,max = 40,5… 73,5 dB(A) am Ohr des Schläfers). Lautere Ereignisse führen zwar zu einer höheren Aufwachwahrscheinlichkeit. Dies wurde aber durch das viel häufigere Auftreten leiserer Ereignisse überkompensiert.
Es ist zu beachten, dass bei einem Aufwachen nach sehr lauten Fluglärmereignissen (LAS,max > 70 dB(A) am Ohr des Schläfers) die Wiedereinschlafzeit deutlich verlängert ist. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit stark an, dass der Schläfer sich am nächsten Morgen an das lärminduzierte Aufwachen erinnert. Es ist plausibel anzunehmen, dass eine Aufwachreaktion durch ein lautes Ereignis schädlicher und belästigender ist als eine Aufwachreaktion durch ein leises Ereignis.
In der im Oktober 2015 publizierten NORAH-Studie (Müller, Aeschbach, Elmenhorst, Mendolina, & Quehl, 2015[5]) wurden ebenfalls fluglärminduzierte Aufwachreaktionen untersucht. Ein Ergebnis ist, dass die genannte Aufwachwahrscheinlichkeit bei einem gegebenen LAS,max in der Norah-Studie geringer ermittelt wurden als in der DLR-Studie. Auf der anderen Seite wurden im Rahmen der NORAH-Studie für eine ganze Reihe anderer von Schlafqualitätsparametern ungünstigere Dosis-Wirkungsbeziehung gefunden, als in der älteren DLR-Studie. Dies wird in der der NORAH-Studie entnommenen folgenden Abbildung dargestellt.
Abbildung: Expositions-Wirkungskurve zwischen maximalem Schalldruckpegel eines Fluglärmereignisses und der fluglärmasoziierten Aufwachwahrscheinlichkeit der Probanden aus NORAH im Jahr 2012 (N=41) sowie den Probanden am Flughafen Köln-Bonn (N=61) (Basner M. , 2006)beruhend auf einem Modell, das außer dem Maximalpegel noch die verstrichene Schlafdauer, das aktuelle Schlafstadium und den Hintergrundpegel berücksichtigt. Schraffiert dargestellt sind die 95%-Konfidenzintervalle der Köln-Bonner Studie und der NORAH-Studie des Jahres 2012. LASeq eine Minute vor dem Fluglärmereignis=27,6 dB(A) (Median), aktuelles Schlafstadium=S2, verstrichene Schlafdauer= 766 Epochen, d.h. min und entspricht ca. 5:30 in NORAH 2012.
Zur genaueren Beschreibung wird hier auf die Originalliteratur verwiesen. Aus dem Graph kann man unter einigen Zusatzannahmen ablesen, dass für ein Fluglärmereignis um 5:30 Uhr mit einem Maximalpegel LASmax =40 dB(A) am Ohr des Schläfers in Frankfurt die Wahrscheinlichkeit für eine Aufwachwahrscheinlichkeit etwa 6,5 %; in Köln-Bonn von etwa 11 % ermittelt wurde.
Zur Erklärung der Unterschiede führen die Autoren als wichtigen Grund den Unterschied des Fluggerätes an. In Köln-Bonn flogen zum Zeitpunkt der Studie vor allem ältere Frachtmaschinen, die ein lästigeres Geräuschspektrum mit mehr hochfrequenten Anteilen aufweisen.
Auf der anderen Seite wurden in der NORAH-Studie für eine ganze Reihe anderer von Schlafqualitätsparametern ungünstigere Dosis-Wirkungsbeziehungen gefunden, als in der älteren DLR-Studie.
In einer vergleichbaren Studie wurden ähnliche Ergebnisse für die Aufwachwahrscheinlichkeit durch Schienenlärmereignisse publiziert (Müller, 2010[4]). Es ergaben sich bei gegebenem niedrigeren LAS,max <50 dB(A) am Ohr des Schläfers tendenziell geringere, bei höheren LAS,max >50 dB(A) tendenziell höhere Aufwachwahrscheinlichkeiten durch Schienen- als durch Fluglärmereignisse in der DLR-Studie. Die Aufwachwahrscheinlichkeiten durch Fluglärmereignisse in der NORAH-Studie liegen signifikant unterhalb derer der beiden anderen Studien.
Die leiseren Lärmereignisse werden in den bisherigen Gesetzesgrundlagen (fast) gar nicht berücksichtigt, auch wenn sie nachweislich zu Aufwachreaktionen führen können.
Autonome Reaktionen
Körperliche Reaktionen, die nicht-willentlich geschehen, nennt man autonome Reaktionen. Lärmereignisse, die auf Menschen einwirken, rufen zahlreiche autonome Reaktionen hervor, wie die bereits genannten Aufwachreaktionen, Steigerung der Herzschlagfrequenz, Ausschüttung von Adrenalin und anderen Stoffen.
„Dieser zunächst sinnvolle und lebensnotwendige Anpassungsprozess wird direkt durch Lärm verursacht und nicht emotional vermittelt. Emotionen werden jedoch entsprechend beantwortet, so dass die Reaktion auf neuartige und/oder unangenehm empfundene Geräusche stärker ausfällt.“ (Kloepfer, 2006[1])
Literatur:
[1] Kloepfer, M. (2006). Leben mit Lärm? Risikobeurteilung und Regulation des Umgebungslärms im Verkehrsbereich. Heidelberg.
[2] Klatte, M., Bergström, K., Spilski, J., Mayerl, J., & Meis, M. (2014). Norah Endbericht Band 1: Wirkungen chronischer Fluglärmbelastung auf kognitive Leistungen und Lebensqualität bei Grundschulkindern. Kelsterbach: Umwelthaus GmbH.
[3] Basner, M., Isermann, U., & Samel, A. (2005). Die Umsetzung der DLR-Studie in einer lärmmedizinischen Beurteilung für ein Nachtschutzkonzept. Zeitschrift für Lärmbekämpfung, 52(4), 109.
[4] Müller, U. (2010). DEUFRAKO/RAPS; Wirkungsorientierte Bewertung unterschiedlicher Verkehrslärmarten; Teilvorhaben DLR: Metaanalyse und Feldstudie.
[5] Müller, U., Aeschbach, D., Elmenhorst, E.-M., Mendolina, F., & Quehl, J. (2015). Norah- Verkehrslärmwirkungen im Flughafenumfeld. Endbericht, Band4: Fluglärm und nächtlicher Schlaf, http://www.laermstudie.de/fileadmin/files/Laermstudie/Schlafstudie_Wiss_Ergebnisbericht.pdf. Kelsterbach: Gemeinnützige Umwelthaus GmbH.