Forschungsbohrung Frankfurt-Rebstock
Warum wird in Frankfurt eine mitteltiefe Forschungsbohrung abgeteuft?
Zu den Aufgaben der geologischen Landesaufnahme zählt unter anderem die Entwicklung von Planungsgrundlagen zur umweltverträglichen Nutzung des Untergrunds. Daten und Expertise des HLNUG als staatlicher geologischer Dienst des Landes Hessen stellen die Grundlage zur Entwicklung innovativer Lösungen für die Nutzung und den Umgang mit der begrenzten Ressource Untergrund dar.
Die in der Vergangenheit aus zahlreichen eigenen, staatlichen, privaten und gewerblichen Vorhaben stammenden und beim HLNUG gesammelten und fachlich aufbereiteten Daten werden so zur Grundlage für die Ermittlung des Untergrundpotenzials für verschiedenste Nutzungen, sei es Rohstoffversorgung, Wasserversorgung oder Energiegewinnung. Bei der Auswertung vorhandener Daten zeigt sich einerseits das Potenzial, andererseits können sich aber auch Defizite bzw. zusätzlicher Erkundungsbedarf zeigen.
Um die tatsächlichen Gegebenheiten und Potenziale im Untergrund der Stadt Frankfurt zu ermitteln, lässt die Stadt Frankfurt am Main als Bauherrin seit Anfang November 2022 eine Forschungsbohrung durchführen. Das Hessische Wirtschaftsministerium stellt die finanziellen Mittel zur Durchführung der Forschungsbohrung zur Verfügung. Die wissenschaftliche Begleitung erfolgt im Rahmen der geologischen Landesaufnahme durch das HLNUG. Unterstützt wird es dabei für spezielle Fragestellungen durch das Institut für Angewandte Geowissenschaften der TU Darmstadt, den Lehrstuhl für Hydrogeologie / Hydrochemie der TU Bergakademie Freiberg, das Leibniz-Institut für Geophysik (LIAG) sowie durch die Firma Vulcan Energy Subsurface Solutions GmbH.
Ausgangssituation:
Im Zusammenhang mit der Errichtung großer geothermischer Anlagen wurden in den vergangenen 15 Jahren an zahlreichen Standorten im Bereich von Frankfurt am Main Wärmeleitfähigkeits- und Temperaturdaten des Untergrundes bis in eine Tiefe von meist 100 m, teils bis 150 m erhoben. Die Auswertung dieser Daten durch das HLNUG belegt die Existenz einer Temperaturanomalie im westlichen Innenstadtgebiet von Frankfurt, die sich mit Temperaturen von 18–23 °C in 100 m Tiefe deutlich vom weiteren Umfeld mit durchschnittlichen 12–14 °C in gleicher Tiefe abhebt. Der geothermische Gradient beträgt im Bereich der Anomalie bis zu 9 K/100 m, der geothermische Wärmefluss bis zu 120 mW/m2. Der Bereich zeichnet sich zudem durch auffällig niedrige Wärmeleitfähigkeiten von 1,3–1,8 W/(mK) innerhalb der tertiären Schichtenfolge sowie durch das Vorkommen von mineralisiertem Grundwasser aus.
Aufgrund der vorliegenden Daten ist davon auszugehen, dass eine besondere geotektonische Struktur zu einem dauerhaften Zustrom von Thermalwasser in die Rotliegendschichten unterhalb der Anomalie führt. Diese Struktur ist ursächlich für den mit 120 mW/m2 sehr hohen geothermischen Wärmestrom in der tertiären Schichtenfolge, wobei davon auszugehen ist, dass die überwiegend tonig ausgebildeten tertiären Schichten eine thermische Dämmung des Thermalwasservorkommens bedingen.
Der tiefere Untergrund Frankfurts ab ca. 300 m Tiefe ist allerdings bislang nur unzureichend bekannt und wurde bislang nicht durch Bohrungen aufgeschlossen. Im Vergleich zwischen den relativ guten Untergrundinformationen, die weiter südwestlich für den hessischen Teil des Oberrheingrabens durch die Explorationstätigkeit der Kohlenwasserstoffindustrie im 20. Jahrhundert und auch in jüngster Zeit durch Tiefengeothermieprojekte vorliegen und den Untergrundinformationen zum Rhein-Main-Gebiet existiert im Raum Frankfurt ein erheblicher Forschungsbedarf.
Der Nachweis einer oberflächennahen geothermischen Anomalie im Stadtgebiet von Frankfurt und die oben geschilderte Hypothese ihrer Ursache sowie die damit verbundenen Nutzungsmöglichkeiten der Thermalwasservorkommen im Rotliegend sollen nun mit Hilfe der Forschungsbohrung Rebstock überprüft und auf vergleichbare geologische Verhältnisse im nördlichen Oberrheingraben übertragen werden. Wenn die Existenz einer positiven geothermischen Anomalie im mitteltiefen Bereich nachgewiesen werden kann und dies in einem urbanen Raum, in dem andere regenerative Energieformen wie Windkraft, Solarthermie oder Fotovoltaik nur eingeschränkt zum Einsatz kommen können, wäre dies ein äußerst günstiger Umstand und als eine Chance zur Erreichung energiepolitischer Ziele in einer solchen Metropolregion zu werten.
Die geologischen Verhältnisse in der Umgebung der Anomalie sind bekannt und auf den Geologischen Karten 1 : 25.000 (Blatt 5817 Frankfurt West (2009), Blatt 5818 Frankfurt Ost (1993), Blatt 5917 Kelsterbach (1980) und Blatt 5918 Neu-Isenburg (1999)) dargestellt sowie in den jeweiligen Erläuterungen beschrieben.
Über den tieferen Untergrund ab ca. 300-400 m Tiefe gibt es allerdings nur spärliche und wenig belastbare Informationen.
Das präpermische Grundgebirge im Raum Frankfurt wird von variskischen Struktureinheiten aufgebaut. Wenige Kilometer nordwestlich von Frankfurt stehen als Teile des Rhenoherzynikums die gefalteten devonischen Gesteine des Taunus an. An dessen Südrand streicht die nördliche Phyllitzone aus, die die Suturzone einer alten variskischen Kontinent-Kontinent-Kollision darstellt. Südlich dieser Zone, in die verschiedene Gesteine überwiegend ordovizischen bis devonischen Alters tektonisch eingeschuppt sind, treten die Einheiten des Odenwaldes auf, der zur Mitteldeutschen Kristallinschwelle gehört.
Es ist zurzeit unbekannt, wie das Präperm unter dem Zentrum von Frankfurt im Bereich Rebstock tatsächlich aussieht: ob es verfaltete devonische Gesteine des Taunus sind, ob es Gesteine der nördlichen Phyllitzone sind oder ob es sich um Gesteine der Mitteldeutschen Kristallinschwelle handelt. Daher soll die Forschungsbohrung das Rotliegend komplett durchteufen und auch in diesen Bereich vordringen.
Die Gesteine des Rotliegend wurden auf die Gesteine des präpermischen Grundgebirges in einem WSW-ENE verlaufenden intramontanen Molassebecken (Saar-Nahe-Becken) abgelagert, das vom Saarland über Hessen bis nach Thüringen reichte. Durch querende Schwellen wird diese Senke untergliedert. Im südwestlichen Hessen war vor allem die Odenwald-Schwelle als Querschwelle zwischen Saar-Nahe-Becken und Wetterau-Becken wirksam. Deshalb fehlen im Schwellenbereich die Sedimente des Unterrotliegend. Die Entwicklung des Saar-Nahe-Beckens wird durch eine von SW nach NE fortschreitende Absenkung charakterisiert. Deshalb entstand erst im Oberrotliegend eine Verbindung mit dem Wetterau-Becken und es wurden auch im Schwellenbereich Sedimente abgelagert, wenn auch mit reduzierter Mächtigkeit. Das gesamte Rotliegendbecken war asymmetrisch mit deutlichen Abschiebungen und hohen Senkungsraten am Hunsrück- und Taunusrand im Norden. Im Süden an der Odenwald-Spessart-Rhön Schwelle sind diese Abschiebungen weniger ausgeprägt oder fehlen ganz.
Das Rotliegend ist der Zielhorizont für die Forschungsbohrung Rebstock. Hier wird eine Tiefenlage von 490 m bis 700 m unter Bohransatzpunkt vermutet. Allerdings wurde die Basis des Rotliegend in Frankfurt bislang noch nicht durch Bohrungen erreicht und gerade im Bereich Frankfurt existieren nur spärliche Informationen über die stratigrafische und fazielle Entwicklung der Sedimentgesteine und Vulkanite aus dem Rotliegend sowie über die Tektonik, geohydraulische (Porositäten, Klüftigkeiten, Gebirgsdurchlässigkeiten etc.), gesteinsphysikalische und geothermische Gesteinseigenschaften. Die erhebliche Verringerung dieses Wissensdefizits ist das Hauptziel der Bohrung.
Zusätzlich sollen an den überlagernden tertiären Sedimenten die gleichen Untersuchungen durchgeführt werden, um ihren Einfluss auf das Reservoir zu erfassen.
Im Tertiär, etwa ab dem Eozän, senkte sich der Oberrheingraben ab. In Zeiten starker Subsidenz kam es zu Meereseinbrüchen und der Ablagerung mariner Sedimente. Im Oligozän bestand zeitweise eine durchgehende Meeresverbindung nach Süden über den Rhonegraben und nach Norden über die Wetterau und die Niederhessische Senke. Der zeitweilige Meereseinfluss führte u.a. zur Ablagerung von Karbonaten, die den terrestrischen, meist tonig ausgebildeten Sedimenten zwischengeschaltet sind. Insgesamt wurde eine mächtige Abfolge von Sandsteinen, Sanden, Kiesen, Mergel, Tonmergel, Kalksteinen, Schluffen und Tonen, teilweise Braunkohlelagen, abgelagert. Ein wichtiges Strukturelement aus dem Tertiär ist der Sprendlinger Horst und seine Fortsetzung nach Norden, der Frankfurter Horst, wo kein oder nur sehr geringmächtiges Tertiär abgelagert wurde.
Im Bereich der Forschungsbohrung Rebstock überlagern die Gesteine des Tertiärs in einer Gesamtmächtigkeit von voraussichtlich etwa 490 m und die ca. 4 m mächtigen quartären Niederterassen der Nidda das Rotliegend.
Die Forschungsbohrung wird im Rotary-Lufthebe-Verfahren mit indirekter Spülung bzw. im Rotary-Bohrverfahren mit direkter Spülung bis zur Tertiär-Basis (Rupelton) niedergebracht.
Die kontinuierliche Analyse der Bohrspülung bzw. Ansprache des darin mitgeführten Bohrkleins der gesamten Bohrung erfolgt bohrbegleitend (Mud-Logging durch die Fa. GLU Freiberg) während aller Phasen des Bohrvortriebs oder einer möglichen Bohrlochaufweitung. Die dem HLNUG übergebenden Spülproben werden dann dort eingehender wissenschaftlich untersucht und beschrieben.
Im Bereich des Rotliegend wird im Seilkern-Bohrverfahren gebohrt. Nach Aufnahme der Bohrung im Feldlabor werden die Bohrkerne in das HLNUG transportiert und es erfolgt eine detaillierte Aufnahme und Untersuchung der Bohrkerne durch das HLNUG sowie zu speziellen Fragestellungen durch das Institut für Angewandte Geowissenschaften der TU Darmstadt und das Leibniz-Institut für Geophysik (LIAG). Zudem fördert die Firma Vulcan Energy Subsurface Solutions die Forschungsbohrung und nimmt ebenfalls im Auftrag der geologischen Landesaufnahme wissenschaftliche Untersuchungen vor.
Insgesamt sind z. B. petrografische Untersuchungen der Bohrproben mit Dünnschliffmikroskopie, Gesteins- und Mineralanalysen mit Röntgendiffraktometrie und Röntgenfluoreszenzanalyse sowie Messungen gesteinsphysikalischer und geothermischer Parameter mit thermischen, akustischen und porometrischen Verfahren, Thermotriaxial-Messungen, Röntgen-Computertomographie oder Nuklear-Magnetische-Resonanz-Verfahren vorgesehen.
Durch das LIAG werden nach Erreichen der Endteufe (d.h. Kristallin) folgende bohrlochgeophysikalische Logs gefahren:
Run | Gefahrene Logs (z.T. kombiniert) | Potentieller Erkenntnisgewinn |
---|---|---|
1 | Kaliber | Kontrolle Bohrlochdimension, Identifikation Störungen / Schwächezonen |
Bohrlochabweichung | Bohrlochneigung (Dip) und Richtung (Azimut), Bohrlochverlauf | |
2 | Temperatur | Geothermischer Gradient, Identifikation Fluidzustrom |
Druck | Hydrostatischer Gradient | |
Salinität der Bohrspülung | Identifikation Fluidzustrom | |
3 | Bohrlochteleviewer / optischer Bohrlochimager / akustischer Bohrlochimager | Textur des Gesteins, kleinskalige Klüfte oder Ausbrüche, Identifikation von Kluftsystemen, Identifikation potentielle Wasserwegsamkeiten |
4 | Elektrischer Widerstand | Elektrische Leitfähigkeit / Widerstand, Salinität des Formationswassers |
5 | Magnetische Suszeptibilität | Lithostratigraphische Informationen, Metallerkennung, Log-Korrelation |
6 | Totales Gamma | Natürliche Gammastrahlung, Verteilung von K, U und Th, Hinweise auf Lithologie, Identifikation von Ton / Schieferintervallen |
Spektrales Gamma | ||
7 | Gamma-Gamma-Dichte | Gesteinsdichte, Porosität, Hinweise auf Lithologie, Aussagen über Fluidfüllung |
8 | Neutron-Neutron-Porosität | Porosität, Gesteinsdichte |
9 | Akustik | Wellenlaufzeiten, Mechanische Parameter, Gesteinsdichte, Porosität, Hinweise auf Lithologie |
10 | Flowmeter | Identifikation Fluidzustrom |
Ein wichtiger Punkt ist die Durchführung von hydraulischen Tests bzw. Pumpversuchen im Bereich des Rotliegend nach Fertigstellung der Bohrung inklusive begleitender Messungen von Temperatur, Leitfähigkeit und weiteren Feldparamatern des Tiefengrundwassers sowie die Wasserprobennahme mit Komplettanalytik auf Haupt-, Neben- und Spurenelemente.
Während der Bohrarbeiten und der Pumpversuche erfolgt ein Monitoring von Druck und Beschaffenheit an oberflächennahen Grundwassermesstellen im Umfeld.
Des Weiteren sind regelmäßige langfristige Wiederholungsmessungen des Temperaturprofils in der ausgebauten Bohrung vorgesehen.